Bedrohliche Herausforderungen für die indigenen Wächter des Waldes ein Jahr nach der Ermordung von Paulo P. Guajajara

  • Im Gedenken an Paulo Paulino Guajajara († 26), dem indigenen Guardião da Floresta (Wächter des Waldes), der am 1. November 2019 getötet wurde
  • Wir wollen uns an die Realität erinnern, mit der dieser Mann konfrontiert war, und über die Konflikte der Tenetehar (Guajajara) in Brasilien sprechen
  • Wir haben uns mit Carlos Travassos unterhalten, einem Freund von Paulo Paulino, der viele Jahre bei der FUNAI, der brasilianischen Nationalen Behörde für Indigene, arbeitete und bis heute mit den Tenetehar zusammenarbeitet, und mit Jonas Guajajara, einem Agrarökologen und Imker, der im indigenen Dorf Barreirinha lebt
  • Seit Paulo Paulinos Tod wurden vier weitere indigene Menschen getötet, insgesamt mindestens 47 in den letzten 20 Jahren 

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Autorin: Sina von der Heyde

Vor einem Jahr wurde Paulo Paulino Guajajara, der indigener Abstammung ist, von drei illegalen Holzfällern in einem Hinterhalt ermordet, als er und sein Freund Tainaky Guajajara in ihrem Gebiet Araribóia Wasser holen wollten. Sofort starb Paulo Paulino an einer Schussverletzung aber Tainaky Guajajara hatte das Glück, zu entkommen und ein Zeuge dessen zu werden, was ihm und seinem geschätzten Freund zugestoßen ist.

Beide gehörten zu den Guardiões da Floresta (Wächter des Waldes), einer Gruppe von indigenen Menschen, die 2012 als Reaktion auf das illegale Eindringen von Holzfällern, Bergarbeitern und Bauern in ihr Gebiet und die steigende Zahl von Ermordungen durch dieselben gegründet wurde. Neben Paulo Paulino wurden in den letzten 20 Jahren mindestens 47 Morde an den Tenetehar vom CIMI (Indigener Missionsrat) registriert — alleine vier davon nach der Ermordung des jungen Wächters!

Paulo Paulino und Tainaky Guajajara im Januar 2019, Karla Mendes (Mongabay)

Paulo Paulino war ein geschätzter Freund, Verwandter, Partner und Vater. Er war auch einer der engagiertesten Kämpfer für die Rechte der Guajajara und ihrer Nachbarn, den Awá Guaja und den Awá, einer Bevölkerungsgruppe, die teilweise unkontaktiert lebt. Mit beiden teilen sich die Tenetehar das Gebiet Araribóia. Ein von der NGO Survival International veröffentlichtes Video in Gedenken an Paulo Paulino zeigt, dass er die Wichtigkeit der Ökosysteme des Amazonas und deren Schutz für das Überleben der Tenetehar auf tiefgreifende und allumfassende Art begriff.

Standort des TI Araribóia, Google Maps November 2020

Die Tenetehar und ihr Kampf gegen koloniale Strukturen

Obwohl Tainaky Guajajara den Hinterhalt selbst erlebt hat, distanzierte sich die Bundespolizei von der Tatsache, dass das Attentat das Ergebnis “ethnischer Konflikte oder gar eines Hinterhalts von Holzfällern auf indigene Menschen” war, heißt es in einer Notiz der Bundespolizei an die Zeitung O Globo. Diese Schlussfolgerung ignoriert die Aussage von Tainaky Guajajara gänzlich, negiert aber vor allem die Tatsache, dass es sich bei dem Mord an Paulo Paulino, wie auch an allen anderen Tenetehar, um einen Konflikt handelt, der auf die Kolonialisierung der Gebiete durch die Portugiesen zurückzuführen ist. Und obwohl die brasilianische Verfassung von 1988 den Tenetehar und den Awá das Reservat Araribóia zuschreibt, hat das Eindringen in dieses Gebiet nie aufgehört. Der Hauptgrund dafür sei, so Carlos Travassos, der vorherrschende “institutionelle Rassismus” und die Tatsache, dass die Rechtsstaatlichkeit bis heute nicht nur im Bundesstaat Maranhão, sondern in ganz Brasilien “kolonialem Denken” folge. Wir leben in einer rassistischen Gesellschaft voller Vorurteile, beklagt Travassos.

“Im Fall von Maranhão, insbesondere Araribóia (…) hat die Abwesenheit des brasilianischen Staates eine große Lücke, eine Parallelwirtschaft und -politik geschaffen.” —  C. Travassos

Heute ist der Bundesstaat Maranhão einer der gefährlichsten Orte für indigene Bevölkerungsgruppen. Sie stünden sozial gesehen vor “großen Herausforderungen”, erklärt Travassos, da die lokale Politik “provinziell” sei und Menschen in wichtigen politischen Positionen zusammenarbeiten, während sie alle auf eine oder andere Art von den illegalen Aktivitäten im Wald profitieren. Dieses “breite Netz der Zusammenarbeit”, wie Travassos es nennt, und der institutionalisierte Rassismus sind die offensichtlichen Gründe, warum Verbrechen gegen indigene Menschen nicht strafrechtlich verfolgt werden.

“Die indigenen Agenturen FUNAI und SESAI spielen eine sehr wichtige Rolle, besonders was ihre Abwesenheit anbelangt.” —  C. Travassos

Seit seiner Wahl im Jahr 2019 hat Jair Messias Bolsonaro eine anti-indigene Strategie eingeleitet, indem er der FUNAI Gelder strich und engagierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen derselben Behörde sowie des Sondersekretariats für indigene Gesundheit (SESAI) entließ. In der Vergangenheit haben diese Agenturen durch ihre unzulänglichen Aktivitäten in gewisser Weise zur herrschenden Straflosigkeit in Maranhão beigetragen, aber jetzt sind ihnen die Hände eindeutig gebunden. Gestützt von lokalen politischen Strukturen erleichtern dies das illegale Eindringen in indigene Gebiete —  eine Entwicklung, die eindeutig zur Ermordung von Paulo Paulino führte und die durch die polizeiliche Aussage zu diesem Vorfall abermals bestätigt wird.

Fotografien und Collage, J. Guajajara

Lösungen, die Frieden und Gerechtigkeit bringen

“Wie sollen die Tenetehar ihr traditionelles Wissen weitergeben, ein nachhaltiges Leben in dieser Koexistenz mit der nationalen Bevölkerung führen, wenn sie darin nicht unterstützt werden?” —  C. Travassos

Angesichts dieser Verschlechterung sind Lösungen für die Tenetehar und die anderen indigenen Gemeinschaften in Araribóia — heute mehr denn je —  erforderlich.  Die Gruppe der Guardiões da Floresta ist eine wirksame Lösung, weil sie die politische Lücke in ihrem Gebiet füllt und die Eindringlinge für ihre Verbrechen zur Rechenschaft zieht. Weiterhin müsse in Bezug auf Konflikte mit der nationalen Mehrheit Brasiliens, so Carlos Travassos, “der wirtschaftliche Zyklus der Ausbeutung geschwächt werden”. Auch die internen Diskrepanzen zwischen den indigenen Gruppen müssen gelöst werden, was eine der Absichten der Wächter des Waldes ist — “eine Einheit des Denkens im Gebiet zu schaffen, die sich an die Vergangenheit aber auch an zukünftige Generationen wendet”, wie Travassos erklärt.

“Es ist unerlässlich, an mehreren Fronten organisiert und strategisch zu arbeiten.” —  C. Travassos

Wie Travassos deutlich macht, müssen wir uns diesen Problemen auf vielen Ebenen stellen. Wir müssen politisch handeln, koloniale Strukturen abbauen, die Menschen über die Ungerechtigkeit aufklären, mit der sich die indigene Bevölkerungsgruppe konfrontiert sieht und wir müssen auch verstehen, dass diese Menschen global gesehen einen enormen Beitrag zum Wohlergehen unseres Planeten leisten!

Wir als Meli wollen die Tenetehar unterstützen und  entwickeln deshalb eine Partnerschaft mit den Guardiões da Floresta, um die Meliponikultur (einheimische Bienenzucht) in strategischen Standorten ihres Landes zu stärken. Zu diesem Zweck planen wir die Zusammenarbeit mit indigenen Menschen, wie beispielsweise Jonas Guajajara, der sich für die einheimischen Bienen in seiner Gemeinde einsetzt. Er absolvierte das Studium der Agrarökologie am Technischen Institut von Maranhão (IFMA) und schrieb seine Abschlussarbeit über einheimische Bienen in seiner Gemeinschaft. Wir wollen die Arbeit, die die Tenetehara bereits sehr weit voran gebracht haben, mit ihnen zusammen weiter ausbauen, neue mögliche Lebensgrundlagen schaffen und ihren Kampf gegen illegale Eindringlinge verstärken.

“Indem wir uns um die einheimischen Bienen kümmern, kümmern wir uns um den Wald. Das ist es, was mich motiviert hat, die Arbeit der Meliponikultur (einheimische Bienenzucht) im indigenen Dorf Barreirinha zu beginnen.” —  J. Guajajara

Wir sprechen den Angehörigen von Paulo Paulino, Dorivan Soares Guajajara, Zezico Rodrigues Guajajara und all den anderen tapferen Seelen, die im Kampf für die Gerechtigkeit ihrer Freunde und ihrer Familie gestorben sind, unser tiefstes Beileid aus. Unser Team steht mit Euch an vorderster Front in diesem Kampf, und wir hoffen, dass Eure Gebiete eines Tages wieder sicher und frei von Leid sein werden, da sind wir uns sicher! Ein Ende den Systemen, die nur einigen wenigen Profite garantieren, der Unterdrückung Eurer wertvollen Kulturen und der Zerstörung von Ökosystemen —  nur Frieden und Gerechtigkeit!

Aus dem Englischen übersetzt von Fabiana Taliani.

Video in Gedenken an Paulo Paulino Guajajara, Survival International

Titelbild: Paulo Paulino Guajajara, Survival International

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