Meli Interview — Wissenschaftler André Belem erklärt, wie wichtig der Amazonas-Regenwald für das Weltklima ist

André Belem ist Forscher an der staatlichen Universität Niterói in Brasilien, wo er das Klima sowie dessen Veränderungen seit ferner Vorzeit (vor ca. 100 Millionen Jahren) bis zur Gegenwart untersucht. In einem Gespräch mit Meli erläutert er, warum wir den Amazonas-Regenwald brauchen, um das Weltklima im Gleichgewicht zu halten.

Autor:innen: Willy Hagi & Kyra Hertel
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André, erzählen Sie uns etwas über sich selbst. Was hat Sie dazu inspiriert, die Ozeane und das Klima zu studieren? Wie inspirieren Sie andere Leute, sich auf eine Reise wie Ihre zu begeben?

Meine Reise auf diesem Planeten ist seit meiner Geburt mit den Ozeanen verbunden gewesen. Ich stamme aus einer Küstenstadt und meine Familie ist eine Mischung aus Caiçara (indigene Küstenbewohner – Anm. des Übersetzers) mit vielen europäischen Völkern. Das Meer ist mein Zuhause. Trotz der Tatsache, dass ich in eine Familie von Ingenieuren hineingeboren wurde, wollte ich seit Kindesbeinen an Ozeanograf werden. Das Meer und das Klima sind eins. In der Hochschule lernte ich schnell, dass Wasser das Bindeglied zwischen allem ist – Wasser ist Leben. Auch mein Studium der Meereskunde (Ozeanografie) fand in einer Großstadt „am Meer“ statt (Rio Grande, im Süden Brasiliens) und führte mich bis nach Bremerhaven in Deutschland. Dort absolvierte ich meine Doktorarbeit in Polarozeanografie beim Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Das war zwischen 1998 und 2002. Schon zu der Zeit war uns klar, wie empfindlich das Klima des Planeten ist.

“In der Hochschule lernte ich schnell, dass Wasser das Bindeglied zwischen allem ist – Wasser ist Leben.”

André Belem auf King George Island, wo er den Einfluss des Klimawandels auf das antarktische Ökosystem untersuchte.

Eines der Hauptthemen weltweit heutzutage ist die Veröffentlichung des neuesten IPCC-Sachstandsberichts (AR6). Können Sie uns erklären, was dieser Bericht ist und warum er wichtig ist?

Der IPCC-Bericht ist ein Dokument, das von einem Expertenteam aus den verschiedensten Bereichen zusammengestellt wurde. Es ist eine höchst intensive und robuste Arbeit, die aus tausenden von Seiten besteht. Der Bericht spiegelt nicht nur die Ansichten der meisten Mitglieder der gegenwärtigen Klimaforschergemeinschaft wider, sondern auch die Entwicklung unseres Verstädnisses des Klimas sowie des großen Einflusses, den wir Menschen auf das Klima des Planeten haben. Dieser Bericht ist nicht bloß aus heiterem Himmel entstanden. Seine wissenschaftliche Basis wurde seit dem ersten Sachstandsbericht (AR) 1992 aufgebaut. In diesen 20 Jahren hat die Klimaforschung eine exponentielle Evolution erfahren.

Können Sie uns einen kurzen Überblick über den Gesundheitszustand unseres Planeten zum jetzigen Zeitpunkt geben?

Der Gesundheitszustand des Planeten Erde ist nicht gut. Der Grund dafür sind für uns unkontrollierbare physikalische Kräfte, welche sich während der geologischen Zeitalter in einem dynamischen Gleichgewicht befanden. Der Sonne, der Position des Planeten und der an der Oberfläche ankommenden Energie nach, befänden wir uns in einem „Ende des Warmen“ (interglazialen) Gleichgewicht, welches sich langsam in eine kühlere Phase hineinbewegen würde. Aber seit der industriellen Revolution sind die Menschen dabei, dieses Gleichgewicht zu zerstören. Ich könnte sagen, die jetzige Situation des Planeten wäre mit einer Person mittleren Alters zu vergleichen, die sich nur fettig ernährt, raucht, trinkt, keinen Sport treibt und die Null Selbstachtung hat. Diese Situation ist höchst kritisch. Der Planet wird sie überleben, aber wir Menschen sicherlich nicht.

“Der Planet wird sie überleben, aber wir Menschen sicherlich nicht.”

Zoomen wir einmal auf eine lokalere Dimension heran. Was passiert zum jetzigen Zeitpunkt im Amazonasregenwald und warum ist das für das Klima wichtig?

Diese lokale Dimension ist lediglich eine Täuschung unseres begrenzten Verstands. In einem System, das vollständig in sich vernetzt ist, gibt es nichts „lokales“. Ein Beispiel: Was nutzt es Dir, Lebensmittel von einem lokalen Erzeuger zu kaufen, der Erzeugnisse aus einer anderen Region des Planeten importiert, die gerade vernichtet wird, um genau diese Lebensmittel zu pflanzen?
Der Amazonas ist ein Universum der Vielfalt in der Äquatorialzone und grenzt an den Atlantik. Der Atlantik ist verantwortlich für die Verteilung der Wärme auf dem Planeten. Der Äquator nimmt Wärme von der Sonne auf, die dann durch die Meeresströmungen neu verteilt wird. Ein Teil dieses Austauschsystems basiert auf Wasserdampf, der in die Atmosphäre abgegeben wird. Ein Teil von dieser Feuchtigkeit wiederum verbindet sich mit einem System, welches wir Südamerikanischen Monsun nennen, der stark durch die Verdunstung aus dem Regenwald gesteuert wird. Wenn der Wald stirbt und in seiner Größe schrumpft, hat das schließlich Auswirkungen auf die Verteilung der Feuchtigkeit in der Atmosphäre sowie auf die Verteilung der Wärme, die von den Ozeanen mitgetragen wird. Am Computer können wir den Amazonas-Regenwald „löschen“. Die Ergebnisse sind katastrophal: sie reichen von Wüstenbildung in einem Teil des amerikanischen Westens bis zu Mega-Überschwemmungen in Europa.

“Am Computer können wir den Amazonas-Regenwald ‘löschen’. Die Ergebnisse sind katastrophal […]”

Die Auswirkungen des Klimawandels sind offensichtlich. In Europa stellen Überschwemmungen, wie in diesem Sommer, sowie extreme Hitzewellen eine wachsende Gefahr für die Lebensgrundlage der Leute dar. Wie kommen diese extremen Wetterlagen zustande? Gibt es hier einen Bezug zum Klimawandel?

Auf jeden Fall. Wie ich schon erwähnt habe, hat das System ein dynamisches Gleichgewicht, wo Systeme sich gegenseitig beeinflussen, entsprechend der fortschreitenden geologischen Klimawandelereignisse über Zeiträume von hunderten oder sogar tausenden Jahren hinweg. Wenn der Mensch mittels Treibhausgasen und Entwaldung Energie in das System einführt, neigt das System zu abrupten Reaktionen. Die riesige Überschwemmung in diesem Jahr in Europa ist ein Ereignis mit einer Wiederkehr in Abständen von über 400 Jahren. Das bedeutet nicht, dass es nicht aus natürlichen Gründen passieren würde, aber man kann mit absoluter Sicherheit sagen, dass unsere Auswirkungen auf das Klima dafür sorgen, dass solche Ereignisse öfter vorkommen. Hier sollte man darauf hinweisen, dass europäische Länder im Allgemeinen die entsprechenden Normen schnell neu anpassen und die Auswirkungen mildern, aber das Gleiche geschieht nicht in ärmeren Ländern, die eher reagieren als vorzubeugen.

André Belem neben einem großen Kiefernbaum in dem Bandelier National Museum bei Los Alamos, USA, welche in einem riesigen Hochwasser zerstört wurde.

Globale Klimasysteme sind sehr kompliziert. Man könnte sich mit dem Gedanken schwertun, die Vernichtung des Amazonasregenwaldes hätte eine Auswirkung zum Beispiel auf das Klima in Europa. Wie können wir die Entwaldung des Amazonasregenwaldes mit dem Auftreten extremer Wetterlagen miteinander in Bezug bringen?

Ich kann Ihnen ein sehr einfaches Beispiel nennen, das jede:r zu Hause auch mit den Kindern durchführen kann. Sie brauchen nur daran zu glauben, dass die Erde rund ist! Wenn Sie ein Fahrrad nehmen und es verkehrt herum auf den Boden stellen, können Sie die Pedale und somit das Rad drehen. Sie können damit anfangen, das Rad langsam zu drehen. Stellen Sie sich vor dieses Rad und bitten Sie jemanden, langsam Wasser über den zu Ihnen gerichteten Teil des Rads zu gießen. Das Rad dreht sich und trägt dieses Wasser von einem Punkt zum nächsten. Wenn Sie es langsam drehen, kann es sein, dass Sie nur ein paar Spritzer treffen werden. Die Erde dreht sich jedes Mal mit der gleichen Geschwindigkeit, aber die Energie, welche Feuchtigkeit mit sich trägt, kann gesteigert werden. In unserem Beispiel geschieht das dadurch, dass wir das Rad schneller drehen. Sie werden sehen, dass so das Wasser immer schneller transportiert und das Spritzen zu einer richtigen “Dusche” wird, je nachdem wie viel Wasser auf das Rad geworfen wird.

Ohne den Wald als Mittel zum “Verteilen” und Transportieren der Energie über den Äquator wird das System zum Verbreiten der Feuchtigkeit beeinträchtigt. Einerseits werden einige Stellen auf der Erde viel weniger Regenwasser erhalten und sie werden sich in Wüsten umwandeln. Andere Orte werden durch zu viel Wasser regelrecht “absaufen” (geschweige denn die Zerstörung durch Stürme). Ein weiteres Problem der Energieverteilung, dass in Europa zu spüren sein wird, ist die Tatsache, dass im Winter der Effekt umgekehrt ist – kälter als üblich und mit vielen Schneestürmen.

Was können wir tun, um Ökosysteme wie zum Beispiel den Amazonasregenwald zu schützen? Beteiligen Sie sich an Initiativen, die hiermit zu tun haben?

Etwas sehr Einfaches, das jede:r im tagtäglichen Leben unternehmen kann — bewusst konsumieren. Wissen, woher die Rohstoffe für die Dinge, die Sie kaufen, herkommen, woher Ihre Lebensmittel stammen. Darüber hinaus kann jede Person mit politischem Bewusstsein Druck auf die eigenen politischen Entscheidungssträger ausüben. Die reine Tatsache, ein Mindestmaß an Ethik von den Regierenden zu verlangen, wäre schon eine große Hilfe. Ich gebe zu, das ist keine leichte Aufgabe. Ich selber bin dafür verantwortlich, Ingenieurstudierenden hier an meiner Universität in gesellschaftlicher und ökologischer Verantwortung zu unterrichten. Ich muss zugeben: Es ist selbst für sie nicht leicht, die hier viel näher am Regenwald und an den Problemen leben. Aber wenn die Anstrengungen konstant und kontinuierlich sind, können wir vieles zum Besseren wenden.

“Aber wenn die Anstrengungen konstant und kontinuierlich sind, können wir vieles zum Besseren wenden.”

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